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Katja Etzkorn

Pine Ridge statt Pina Colada

29
1
14,90

Neu: Moderne Geschichte um eine Frau, die alles aufgibt und ein neues Leben gewinnt. (Taschenbuch)

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Pine Ridge statt Pina Colada

Die junge Chirurgin Sannah hat einige Schicksalsschläge hinter sich und sucht nach neuen Perspektiven. Sie braucht eine Atempause von
ihrem anstrengenden Job und beschließt, im Auftrag einer Hilfsorganisation für drei Monate auf die Pine Ridge Reservation zu gehen,
um eine Foto-Dokumentation zu machen. Josh White Cloud, bei dem sie untergebracht wird, entpuppt sich als wortkarger Einsiedler, der
die junge Frau aus Deutschland misstrauisch beäugt. Als Pferdezüchter und Leiter des Horsemanship-Projektes zur Drogenprävention für
Kinder und Jugendliche, fühlt er sich bei seiner Arbeit gestört und versucht ihr aus dem Weg zu gehen. Nur Sannahs Talent, mit Pferden
umzugehen, und ihre unaufdringliche Art scheinen langsam seine raue Schale zu durchdringen. Aber auch Sannah ist weit davon entfernt, ihr
Herz an den Nächstbesten zu verlieren. Sie ist schockiert von den Lebensumständen auf der Reservation und bleibt ganz bewusst auf Distanz.

Doch dann scheint sich eine uralte Vision von Joshs Großmutter zu bewahrheiten, die mit Sannahs eigener Familiengeschichte eng verknüpft ist.
Ist sie die Frau aus dem ewigen Eis?

Verpackt in eine Liebesgeschichte, die alle Facetten einer modernen Beziehung beleuchtet, möchte dieser Roman den Leser in eine Welt
entführen, die weitab des amerikanischen Traums existiert.

Pine Ridge statt Pina Colada . Ein Roman von Katja Etzkorn, welcher uns mitnimmt auf die Reise von Sannah. Sannah versucht mit einem Aufenthalt in Pine Ridge, einem Lakota-Reservat in den USA, aus ihrem Alltag auszubrechen. Dort angekommen, wird sie empfangen von einem menschlichen Eisblock . Er stellt sich als ihr Gastgeber heraus. Im Reservat, welches von bitterer Armut gezeichnet ist, kommt sie der Lebens- und Denkweise der Lakota näher. Sie versteht, in welchem Ausmaß die Unterdrückung der indigenen Völker Nordamerikas auch heute noch anhält. Mitten in diesem Durcheinander der Gefühle, Empfindungen und Eindrücke bahnt sich ein Stimmungswandel des Eisblocks an. Dem zwischenmenschlichen Tauwetter verfällt auch Sannah; Grenzen verschwimmen zwischen ihren Problemen, Sorgen und Überzeugungen über ihr Leben und das Anderer mit ihren neuen Eindrücken und Empfindungen. Was gestern noch undenkbar schien, könnte schon morgen Wirklichkeit sein. All diese Gefühle und der allseits präsente und andauernde kulturelle Entwurzelungsprozess der Lakota in der modernen Welt werden in diesem Buch beschrieben. Deren Versuch der Rückbesinnung zu traditionellen Werten wird durch individuelle Schicksale menschlich und emotional greifbar. --Pogrom, Gesellschaft für bedrohte Völker 6/2019

Eisberg voraus

 

Josh saß im Schatten seiner Veranda und beobachtete irritiert die junge Frau, die aus dem Wagen stieg. Das konnte unmöglich der angekündigte Besuch aus Deutschland sein. Aus der näheren Umgebung kam sie aber auch nicht. Er kannte hier jeden und hatte sie noch nie gesehen. Weil sich am Haus nichts rührte, ging sie zu den Stallgebäuden.

„Mr. White Cloud?“, rief sie. Kein Akzent. Josh konnte nun nicht länger in seiner dunklen Ecke sitzen bleiben und ging widerwillig auf sie zu. Sannah hörte seine Schritte auf der Veranda und drehte sich um. Der Mann, der auf sie zukam, war gut und gern eins neunzig groß, er trug Jeans, Stiefel und ein schmutziges Unterhemd. Die langen, schwarzen Haare waren zum Zopf zusammengebunden, ein paar Strähnen wehten in sein schmales, kantiges Gesicht. Er bewegte sich mit der Eleganz einer Raubkatze auf sie zu und fixierte sie mit seinen schwarzen Augen. Sein Gesichtsausdruck war finster, und Sannah verspürte das Bedürfnis wegzulaufen.

„Angriff ist die beste Verteidigung“, dachte sie und lächelte, als er vor ihr stehen blieb.

„Mr. White Cloud? Ich bin Sannah Hammeken.“ Die Worte blieben ihr fast im Halse stecken. Offensichtlich war sie diesem Eisberg nicht willkommen.

Er musterte sie skeptisch. Sie hatten ihm keine blonde Kornnatter geschickt, sondern eine dunkle Klapperschlange. Noch schlimmer. Nur mit den Schuhen hatte er Recht behalten, stellte er fest, als sein Blick auf ihre weißen Turnschuhe fiel. „Josh“, sagte er knapp und drückte ebenso kurz, aber fest ihre Hand.

Beim Anblick seiner Oberarme musste Sannah unweigerlich an Annegret denken. Er war groß, dunkel und muskelbepackt bis zu den Ohren. Brusthaartoupet und Goldkettchen fehlten, aber das gab schlimmstenfalls Abzüge in der B-Note. Annes limbisches System würde Tango tanzen, Hormon Cocktails mixen und einen spontanen Eisprung auslösen. Annegrets Ritter in glänzender Rüstung war ihr soeben, laut scheppernd, vor die Füße geknallt. Nur halt im schmuddeligen Feinripp.

Sie verkniff sich ein Grinsen. Bevor das Schweigen peinlich wurde, deutete Josh mit vorgeschobener Unterlippe und Kinn auf das Wohnhaus. „Duckface“, dachte sie, als sie seine merkwürdige Art auf etwas zu zeigen, bemerkte.

„Dein Zimmer ist die Treppe hoch rechts. Ich muss jetzt die Pferde von der Weide holen“, stellte er fest, um einen Grund zu haben ihr aus dem Weg zu gehen.

„Darf ich mit?“, bat sie mit großen Augen. Er zögerte sichtlich.

„Wenn du willst“, brummte er mürrisch. Dann und wann verirrten sich Touristen für eine Reitstunde auf seinen Hof und stellten meist die gleiche Frage. Die wenigsten schafften es überhaupt auf ein ungesatteltes Pferd und wenn doch, waren sie nach den ersten Galoppsprüngen wieder unten. Josh lief wortlos an ihr vorbei und verschwand im Stall. Als er wieder herauskam, drückte er ihr Zaumzeug in die Hand und deutete, wieder mit der Unterlippe, auf eine braune Stute, die auf der kleinen Weide direkt neben dem Stall stand. Sannahs Enttäuschung über den eisigen Empfang, wich der Vorfreude auf einen Ausritt. Sie kletterte unter dem Zaun durch und kraulte der Stute den Hals. Das Zaumzeug hielt sie locker mit zwei Fingern über den Kopf des Pferdes und wartete geduldig bis die Stute freiwillig das metallene Mundstück ins Maul nahm. Danach streifte sie sanft das Kopfstück über die Ohren, legte die Zügel um den Hals und führte es zum Paddock. Josh beobachtete sie dabei und ihm gefiel, was er sah. Er schwang sich auf sein Pferd und fragte von oben herab: „Schaffst du es allein rauf?“

Sannah ärgerte sich über seine überhebliche Art. Sie hatte jahrelang auf diese Weise ihr eigenes Pferd von der Weide geholt und würde sich jetzt sicher keine Blöße geben. Sie antwortete ihm nicht, nahm Schwung und saß oben, nicht so elegant wie Josh, aber immerhin. Josh wendete sein Pferd und jagte im Galopp davon. Die Weide war riesig und die Herde stand am anderen Ende, als Josh in Sichtweite kam, stoppte er sein Pferd und drehte sich um. Er hatte nicht erwartet, Sannah hinter sich zu sehen, aber sie hatte aufgeholt und kam kurz hinter ihm zum Stehen. Sie war ganz offensichtlich in ihrem Element. Der Wind hatte ihr Haar zerzaust, die Wangen waren von dem scharfen Ritt gerötet, ihre großen Augen leuchteten und sie strahlte über das ganze Gesicht. Ihr Anblick raubte Josh den Atem. Er sammelte sich für einen Moment.

„Reite ruhig an die Herde heran“, erklärte er ihr. „Passe dich ihrem Tempo an und flankiere sie nur. Wenn du hektisch wirst, werden sie es auch und wir bekommen heute kein Pferd in den Paddock.“

Sannah nickte wortlos. Josh ritt langsam durch die Herde auf die andere Seite. Gemächlich setzten sich die Tiere in Bewegung. Zurück ging es nun deutlich langsamer. Sannah genoss das Bild, das sich ihr bot. Etwa zwanzig Pferde trotteten über einen Ozean aus Gras, der sich grenzenlos bis an den Horizont zu erstrecken schien. Der ewige Wind strich über die Plains, die Sonne stand schon tief und warf lange Schatten, die auf dem wogenden Gras ein Eigenleben entwickelten. Postkartenkitsch. Sannah seufzte glücklich. Genau dafür war sie hergekommen. Sie sah rüber zu Josh, der sie nicht weiter beachtete. Er saß völlig entspannt auf seinem Pferd und ließ die Beine baumeln. Seine Aufmerksamkeit galt den Pferden. Nach einer Weile erreichten sie den Paddock. Sannah ließ sich vom Pferd rutschen und klopfte der kleinen Stute den Hals.

„Wie heißt sie?“, wollte sie wissen.

„Kimímila“ – Schmetterling, kam es knapp zurück.

„Wie redselig“, dachte Sannah, „und zum Lachen geht er bestimmt in den Keller.“ Sie brachte Kimímila zurück auf die kleine Weide. Als sie das Zaumzeug in den Stall bringen wollte, nahm Josh es ihr ab und drückte ihr einen Schlauch in die Hand. Er deutete auf die Tränke, vor der sich die Pferde versammelt hatten. „Sie haben Durst“, brummte er und für einen Moment huschte die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht, als Sannah etwas entgeistert mit dem Schlauch zur Tränke stapfte. Josh hatte beschlossen, die kleine Klapperschlange ein bisschen zu ärgern. Während sie die Tränke füllte, kümmerte er sich um seine Pferde. Josh bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen den großen Tieren und sprach mit dunkler, sanfter Stimme zu ihnen. Es war fast, als würden sie ihm andächtig lauschen, während er die Hufe kontrollierte, ihnen die Augen sauber wischte und nach kleinen Blessuren sah. Jedes Pferd wartete geduldig, bis es an die Reihe kam, begrüßte ihn freudig und schnaubte zufrieden. Über allem lag eine unglaubliche Ruhe und Harmonie. Josh strahlte diese Ruhe aus. Völlig gebannt starrte Sannah auf die Szene, die sich vor ihr abspielte. Sie begriff, dass dieser Mann vielleicht keine Menschen mochte, aber seine Tiere liebte er dafür umso mehr. Sannah füllte unaufgefordert auch die Tränke auf der kleinen Weide, brachte den Schlauch zurück und drehte das Wasser ab. Etwas unschlüssig, was nun zu tun sei, blieb sie am Stall stehen. Josh klopfte sich notdürftig den Dreck von der Hose und lief, wie üblich, wortlos, an ihr vorbei in Richtung ihres Autos. Er knallte die Heckklappe auf, hob ihren Koffer heraus und trug ihn auf die Veranda. Dort blieb er mit missmutigem Gesicht stehen und wartete.

Sannah beeilte sich hinterher zu kommen. „Hellsehen stand nicht in der Stellenbeschreibung“, dachte sie gereizt. Vor der Tür angekommen, hielt sie es für höflich, die dreckigen Schuhe auszuziehen und erntete dafür prompt einen Rüffel von Josh.

„Wenn du deine Schuhe hier stehen lässt, solltest du sie morgen früh gründlich ausschütteln.“

„Warum?“, fragte sie ahnungslos.

„Wegen der Taranteln“, sagte er trocken. „Für Schlangen sind deine Schuhe zu klein“, fügte er hinzu, als er amüsiert ihren entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte. Er öffnete die Fliegengittertür, Sannah ging hinein und stand in der Küche, die nahtlos ins Wohnzimmer überging. Dort war sogar ein aus Natursteinen gemauerter Kamin. Josh ließ ihr keine Zeit sich umzusehen.

„Die Treppe hoch und dann rechts“, wiederholte er knapp seine Wegbeschreibung. Sie lief die Treppe hoch, während er mit Kennerblick ihr Hinterteil begutachtete. Diamantklapperschlange, lautete sein Urteil als sie oben angekommen waren. Er stellte ihren Koffer ins Zimmer.

„Danke“, sagte Sannah und versuchte es nochmal mit einem Lächeln, doch es verwandelte sich in Schneeflocken, noch ehe es den Eisberg erreicht hatte. Josh deutete mit unbeweglicher Miene auf eine Tür neben ihrem Zimmer.

„Dort ist das Bad. Wenn du duschen möchtest, mach es bitte jetzt. Ich werde das Essen in den Ofen schieben und würde nach dem Essen selbst gern duschen. Der Boiler braucht eine Weile, bis das Wasser wieder heiß ist.“

Sannah nickte. Damit lief er die Treppe runter und verschwand in der Küche. Die Tatsache, dass Josh sich um das Essen kümmerte, verriet ihr, dass wohl keine Mrs. White Cloud auftauchen würde um die wortkarge Eiszeit etwas aufzutauen. Sie suchte sich ein Handtuch aus dem Koffer und kramte Duschgel und Shampoo Fläschchen von dem Hotel in Denver aus der Handtasche. Im Badezimmer bestätigte sich ihre Vermutung. Auf der Ablage über dem Waschbecken befand sich Zahnpasta, eine Zahnbürste, Rasierschaum, Deo und ein Rasierer. In einem kleinen Regal lag noch eine Haarbürste. Kein Anzeichen eines weiblichen Wesens. Sie war allein mit diesem Eisberg. Beklommen schlüpfte Sannah aus ihren dreckigen Klamotten und drehte das Wasser auf.

Katja Etzkorn

Katja Etzkorn, geboren 1968, lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland. Viele Jahre war sie als Medizinisch-Technische Assistentin im Hafenkrankenhaus tätig. Schon als Kind dem Pferdevirus erlegen, sattelte sie vor zwanzig Jahren auf das Westernreiten um. Sie hat in dieser Zeit drei Pferde nach dem so genannten Horsemanship-Prinzip ausgebildet und widmet
sich begeistert dem berittenen Bogenschießen. Ein Teil ihrer Familie lebt in den USA entlang der Ostküste und im Mittleren Westen. Durch ein Buch von Kerstin Groeper auf die Spendenprojekte der Gesellschaft für bedrohte Völker aufmerksam geworden, setzte sie sich mit Andrea Cox in Verbindung, schloss Freundschaft und spendet seitdem für Projekte
der Horsemanship. Durch Andrea lernte sie auch Wendell Yellow Bull, den Leiter des Horsemanship-Spendenprojektes in Pine Ridge, kennen. Betroffen von den erschütternden Lebensumständen im Reservat, beschloss sie, ein Buch zu schreiben, das Menschen darüber informieren soll, unter welchen Bedingungen die Ureinwohner Nordamerikas in einem der reichsten Industriestaaten dieser Welt leben müssen.

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